Session 01: Einwohner:innen First
Impulsgeber: Werner Zanotti
Der Ansatz markiert einen deutlichen Wandel im Selbstverständnis des Tourismus, der sich allerdings noch zaghaft bemerkbar macht. Das Schielen nach Gästezahlen, Übernachtungen und Umsätzen hat vielerorts die Bedürfnisse der Einwohner:innen in den Hintergrund gerückt. Die Verbreitung digitaler Plattformen haben die Besucherströme vielerorts exponentiell steigen lassen. Nicht nur in Overtourism-Destinationen melden verstärkt die Einheimischen Vorbehalte gegen die Auswirkungen wachsender Nachfrage an.
Lärmbelästigung, Überlastung des Nahverkehrs, steigende Lebenshaltungskosten, Vermüllung, Umwandlung von Wohnraum in Ferienwohnungen, steigende Mieten sind vielerorts eine Folge des bisher „erfolgreichen“ Tourismusmanagements.
Der Tourismus generiert unbestreitbar wirtschaftliche Vorteile wie Arbeitsplätze und Einnahmen. Er kann aber auch zu einer übermäßigen Abhängigkeit der kommunalen Wirtschaftsstrukturen führen und die Destination damit anfällig für Krisen machen, wie sie z. B. durch Pandemien ausgelöst werden können.
„Mitbürgerorientierte“ Tourismusstrategie
Impulsgeber Werner Zanotti postulierte einen fundamentalen Paradigmenwechsel im Tourismushandeln: „Eigentlich muss der Einheimische im Zentrum des Handelns einer DMO stehen. Der Fokus muss geändert werden.“ Das Wohlbefinden, die Bedürfnisse und die allgemeine Lebensqualität der lokalen Bevölkerung müssten künftig im Mittelpunkt aller Planungs-, Entwicklungs- und Managementprozesse einer „mitbürgerorientierten“ Tourismusstrategie stehen. In drei Gruppen erarbeiteten die Teilnehmenden Stichworte zu drei Fragen an die „neue“ DMO:
1. Welche Aufgaben wird eine DMO in der Zukunft haben?
- keine aktive Zimmervermittlung mehr (komplett auf Onlinebuchbarkeit umgestellt)
- Tourist-Infos werden durch digitale Lösungen/ KI unterstützt, teilweise sogar ersetzt
- Messeauftritte werden wegfallen
- klassische Marketingaufgaben werden reduziert bzw. komplett wegfallen
- neu hinzu kommt die Aufgabe des Community Managements (Netzwerke vor Ort pflegen und mit Allen an der touristischen Ausrichtung arbeiten)
- Pflege von Datenbanken und einer Community-Plattform, die den Austausch vor Ort schnell ermöglicht
2. Welche Strukturen werden dafür notwendig sein?
- die politische Ebene bleibt Auftraggeber, ggf. werden Regionen zu einem „Cluster“ zusammengefasst, um bessere Synergien zu schaffen und um Kosten zu sparen
- Aufsichtsräte nicht nur mit Vertretern aus Wirtschaft oder Politik besetzen, sondern auch mit Bewohnern und Bewohnerinnen
- die statische Arbeitsweise muss einer privatwirtschaftlichen Agilität weichen
- der Begriff „DMO“ muss aufgrund der neuen Aufgaben überdacht werden
3. Welche Rolle spielen die Menschen vor Ort dabei?
- die Menschen/ Arbeitnehmer:innen vor Ort müssen sich mit der Destination identifizieren können
- als Grundstein der Kompetenz muss ein Gemeinwohl-Leitbild transparent kommuniziert werden, damit die Wertschöpfung Allen bewusst wird
- generell muss die Kommunikationskompetenz der DMO ausgebaut werden
- der Community-Gedanke ermöglicht Arbeitsgruppen, die jeweils thematisch die Destination mit entwickeln und die Grundlage für die Weiterentwicklung liefern
Je nach Region, Tourismusintensität und Tourismusakzeptanz wird sich Rolle und das Selbstverständnis der DMO über kurz oder lang grundlegend verändern.
Das im Thema der Session postulierte Prinzip „Einwohner:innen first – Touristen sind (nur) Gäste“ bedeutet eine tiefgreifende Neuorientierung: die Zentrierung auf ein Leitbild, das den Tourismus als integralen Bestandteil eines gesunden und nachhaltigen Lebensraums begreift.
5 Prinzipien eines einwohner:innenzentrierten Tourismus
Priorität der Lebensqualität
Oberstes Ziel ist die nachhaltige Verbesserung und der Schutz der Lebensqualität der lokalen Bevölkerung. Dies umfasst den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum, die Aufrechterhaltung effizienter öffentlicher Dienstleistungen, den Erhalt einer intakten Infrastruktur sowie die Förderung eines positiven und inklusiven sozialen Umfelds.
Kommunikations- und Investitionsstrategien für Destinationen müssen explizit sowohl die Einwohner:innen als auch die Gäste ansprechen, um ein Gefühl der gemeinsamen Verantwortung und Identität zu fördern.
Ganzheitliche Regionalentwicklung
Tourismus wird nicht als isolierter Wirtschaftssektor verstanden, sondern als integraler und querschnittsorientierter Bestandteil einer umfassenden, nachhaltigen Regionalentwicklung.
Dies erfordert die Integration der Tourismusplanung mit anderen Sektoren wie Landnutzung, Landwirtschaft, Naturschutz und Kulturerhaltung, unter Einbeziehung aller relevanten Stakeholder.
Respekt vor kultureller Integrität und Identität
Ein Eckpfeiler des „Einwohner:innen first“-Prinzips ist die Bewahrung und Förderung der lokalen Kultur, Traditionen und des einzigartigen Charakters einer Region.
Touristische Angebote müssen die regionale Identität respektvoll widerspiegeln und zelebrieren, anstatt sie zu kommerzialisieren oder zu verfälschen. Dies sichert die Lebendigkeit und Authentizität des kulturellen Erbes für Bewohner und Besucher gleichermaßen.
Soziale Akzeptanz und Partizipation
Die nachhaltige Tragfähigkeit des Tourismus hängt entscheidend von seiner Akzeptanz und aktiven Unterstützung durch die lokale Bevölkerung ab. Dies erfordert eine echte Transparenz in Entscheidungsprozessen und eine konsequente, aktive Einbeziehung der Einwohner:innen in allen Phasen der Tourismusplanung und -entwicklung, um sicherzustellen, dass ihre Stimmen gehört und ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden.
Vom „Dienstleister“ zum „Lebensraumgestalter“
Dieses Prinzip definiert die Rolle der im Tourismus Handelnden neu. Sie sind nicht mehr nur Anbieter:innen von Dienstleistungen, sondern aktive Mitgestalter des lokalen Lebensraums. Ihr Fokus verschiebt sich darauf, authentische, menschliche „Resonanzerfahrungen“ zu initiieren, die sowohl Gästen als auch Gastgebenden zugutekommen. In einer zunehmend digitalisierten Welt sind authentische Erlebnisse und echte menschliche Begegnungen für Reisende von besonderer Bedeutung.
Das „Einwohner:innen first“-Prinzip rückt die Lebensqualität der Bewohner:innen ins Zentrum und begreift den Tourismus als integralen Bestandteil einer ganzheitlichen Regionalentwicklung. Es fördert den Respekt vor kultureller Integrität, die soziale Akzeptanz durch Partizipation und die Transformation von Tourismushandelnden zu „Lebensraum-Gestaltern“. Die Säulen dieses neuen Verständnisses sind die Konzepte des nachhaltigen, sanften und regenerativen Tourismus. Sie zeigen auf, wie ökologische Verantwortung, ökonomische Stabilität und soziale Gerechtigkeit Hand in Hand gehen können, um einen Mehrwert für alle Beteiligten zu schaffen. Siehe dazu auch die Vertiefungssession „Prinzipien eines neuen Tourismusverständnisses“.

