
Session 01: Wirtshaus zu, Einzelhandel war mal
Impulsgeber: Markus Preißner
Innenstädte sind keine Selbstläufer mehr. Sie stehen sinnbildlich für eine tiefgreifende Transformation im öffentlichen Raum. Leerstände, verändertes Konsumverhalten und Mobilitätskonflikte stellen Kommunen, Händler:innen und Touristiker:innen vor heute (oft noch unbekannte) neue Herausforderungen. Die Zukunft der Innenstädte hängt maßgeblich davon ab, ob es gelingt, Erlebnisse zu schaffen, die Gäste und Einheimische ansprechen.
Die von Dr. Markus Preissner von der IFH Köln präsentierte Studie „Vitale Innenstädte 2024“ brachte frische Daten in die Debatte und bildete den Ausgangspunkt für eine differenzierte Betrachtung: Wer nutzt Innenstädte warum – und wie lassen sich Erlebnisse schaffen, die tatsächlich relevant sind?
Der Impuls lieferte ein Bild, welches das touristische Herz nicht gerade hüpfen ließ. Denn lediglich ein Fünftel der Befragten besucht Innenstädte gerne und häufig, 60 % sind zumindest grundsätzlich zufrieden – das zeigt Handlungsbedarf.
Die zentralen Herausforderungen wie zunehmender Leerstand, die Bedeutung von Multifunktionalität sowie Mobilitätskonflikte sind in fast allen Städten gleich. Das größte „Pulverfass“ und polarisierendes Thema ist fast immer eine unbefriedigende ÖPNV-Situation. Shopping, Gastronomie und Sightseeing zählen zu den Hauptmotiven, weshalb (Innen-)Städte besucht werden, wobei die Aufenthaltsqualität als entscheidender Faktor wahrgenommen wird. Hygienefaktoren wie Erreichbarkeit, Parkraum und Mobilitätsangebote werden zwar erwartet, schaffen aber keine emotionale Bindung.
Ideen für eine attraktivere Innenstadt
Eine gute Zusammenarbeit von Stadt- und Destinationsmanagement wird zunehmend wichtiger, um die Innenstadt als einen attraktiven Ort für alle zu bewahren. Wie sie aussehen könnte, haben die Teilnehmer:innen der Session im Open-Space-Format diskutiert und nach praxisnahen Ansätzen gesucht. Insbesondere gelte es, die verschiedenen Interessen der Handelnden zu koordinieren, um ein attraktives (Innenstadt)Erlebnis für Gäste und Einheimische zu schaffen.
Die DMO sollte sich künftig auch als Impulsgeberin, Vernetzerin und koordinativ Beteiligte am Place Making urbaner Erlebnisräume verstehen. Grundvoraussetzungen sind hierbei neben personellen und finanziellen Ressourcen bei DMO und Stadtverwaltung die Bereitschaft zur interdisziplinären Zusammenarbeit und die Definition eines „Dirigenten“ bzw. einer „Treiberin“, die die verschiedenen Akteure und Akteurinnen koordiniert sowie die Vision vorantreibt.
Customer Journey gemeinsam gestalten
- Fokus auf gemeinsame Gestaltung und Nutzung: Abkehr von isolierten Betrachtungen hin zu einer integrierten Perspektive (die Stadt als Ganzes für alle, Einbindung der lokalen Bevölkerung).
- Vernetzung aller Akteure und Akteurinnen: Anbieten von Stakeholder-Formaten (z. B. Stadtlabore, Arbeitskreise) und Schaffung entsprechender Netzwerkstrukturen sowie experimenteller Räume für die Entwicklung und Erprobung neuer Konzepte.
- Gemeinsames Zielbild entwickeln: Vorrangig ist zu klären: Welche Art von Geschäften und Angeboten möchten wir für Einheimische und Gäste in der Innenstadt ansiedeln?
- Datenbasis zur Diskussion bieten: Wie viel Leerstand haben wir? Wen haben wir, die/der diesen Leerstand nutzen könnte? Wie aktivieren wir tourismus-affine und freizeittouristische Betriebsamkeit in diesen Leerstandslagen?
- Organisatorische Zuständigkeit klären: Rolle der DMO bei Flächen-, Besucher:innen-, und Ansiedlungsmanagement sowie den Anforderungen für Sicherheits-, Müllmanagement und Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum identifizieren.
- Sicherstellung Hygienefaktoren bzgl. Mobilitätsintegration: Carsharing, Last-Mile-Angebote und Fahrradinfrastruktur sind essentiell für die Zugänglichkeit.
Die Diskussion verdeutlichte jedoch auch, dass die Gestaltung einer gemeinsamen Customer Journey einen abgestimmten strategischen Ansatz, eine hohe Kooperationsfähigkeit und Bereitschaft zur Innovation erfordert. City-Management und Destinationsmanagement können dann durchaus Synergien schaffen, die zu einer attraktiven und wettbewerbsfähigen Destination führen.
Es geht nicht darum, Anlässe in der Stadt zu gestalten, sondern die Stadt zum Anlass zu machen.
Wertschöpfung in der Nacht aktiv mitgestalten
Die Teilnehmenden widmeten sich auch der Frage, wie die Wertschöpfung im Tourismus speziell in den Abend- und Nachtstunden aktiv mitgestaltet und gesteigert werden kann. Angesichts des steigenden Interesses an Erlebnissen jenseits des klassischen Tagestourismus steigen die Potenziale für die Zeit zwischen 18 Uhr abends und 6 Uhr morgens. Dabei ist eine klare Zielgruppenansprache und -segmentierung notwendig, da die Nachtzeiten nicht alle Personengruppen gleichermaßen ansprechen. Vorrangig geht es dabei um Lebendigkeit und Atmosphäre. Im Laufe der Diskussion kristallisierten sich folgende zentrale Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen heraus.
- Entwicklung spezifischer Nachtangebote: Etablierung von Pop-Up-Businesses, die ausschließlich in den Nachtstunden operieren, sowie Einführung von Dienstleistungen wie Bike-Sharing, die nachts kostenlos oder vergünstigt angeboten werden.
- Regelmäßigkeit statt Einmaligkeit: Statt sich auf einmalige (Groß)-Veranstaltungen zu konzentrieren (wie Lange Nacht der Museen), sollten dauerhafte und regelmäßige Angebote etabliert werden.
- Steuerung und Flexibilisierung durch die Destination/Stadt: Anstoßen neuer Diskussionen über die potenzielle Nutzung von bislang ungenutzten Flächen, Prüfung der Zulassung von bisher untersagten Vermietungs- oder Nutzungsformen (z. B. Boulderhallen in der Innenstadt).
- Bedeutung konsumfreier Räume: Orte wie Bänke, Tische und öffentliche Plätze, die ohne Konsumzwang genutzt werden können, erhöhen die Verweilqualität (Third Places).
- Grundvoraussetzungen Sicherheit & Sauberkeit: Für alle nächtlichen Aktivitäten ist die Gewährleistung von Sicherheit ein besonders wichtiger Faktor, für den vorab zwischen Stadt und DMO die jeweilige Zuständigkeit genau geklärt werden muss.
- Partizipation und Bedarfsanalyse: Es müssen Räume für bestehende Bedürfnisse gelassen werden, damit Dinge entstehen können → Es geht darum, genau hinzuschauen und zuzuhören, was von der Bevölkerung und den Besuchenden gewünscht oder benötigt wird, und diese Entwicklungen zu unterstützen.
- Mobilitätskonzepte: Sicherstellung von komfortablen Mobilitätsangeboten auch in den Nachtstunden (z. B. spezielle Nachtbuslinien, Sammeltaxis oder auf die Nacht ausgerichtete E-Scooter-Angebote).
- Lärmschutz und Anwohnerinteressen: Die Gestaltung nächtlicher Angebote muss stets im Einklang mit dem Lärmschutz und den Interessen der Anwohner erfolgen. Konzepte zur Lärmminderung und zur Kommunikation/Abstimmung mit der Bevölkerung sind unerlässlich.
- Beleuchtungskonzepte: Intelligente Beleuchtungskonzepte können nicht nur die Sicherheit erhöhen, sondern auch die Atmosphäre verbessern und bestimmte Bereiche hervorheben, ohne dabei die Lichtverschmutzung unnötig zu erhöhen.
Wir brauchen die Gastronomie
Der touristische Wert der Innenstadt geht über den Einzelhandel hinaus – Begegnung und individuelle Erfahrungen zählen mehr als Konsum. Die dritte Frage der Session widmete sich einem integralen Element der touristischen Erlebnisqualität: der Gastronomie. Wie kann der Tourismus zum Erhalt und zur Stärkung einer lebendigen und hochwertigen Gastronomielandschaft beitragen? Für den Tourismus in der Destination ist es essenziel, die Attraktivität und Wirtschaftlichkeit gastronomischer Betriebe zu sichern.
- Tourismus als Frequenzbringer sichtbar machen: Bedeutung des Tourismus als Motor für die Besucherfrequenz in der Gastronomie klar kommunizieren und belegen, um Bewusstsein für die Zusammenarbeit zu stärken.
- Storytelling für gastronomische Angebote stärken: Ausbau des Storytellings für einzelne gastronomische Angebote oder ganze Viertel (analog „Little Tokyo“ als lokales, japanisches Kulturgut in Düsseldorf) → Geschichten hinter dem Essen, den Menschen und der regionalen Besonderheit erzählen.
- Schaffung regelmäßiger Austauschformate: Etablierung von runden Tischen, Workshops oder Stammtischen zwischen Gastronomen, DMO, City-Management und Hoteliers, um Bedarfe, Herausforderungen und Potenziale zu besprechen.
- Kooperation statt Konkurrenz: Gastronomen und Einzelhändler können durch gemeinsame Erlebnisangebote mehr Besucher anziehen. Gastronomie kann mit Kultur- und Eventkonzepten neue Gäste erreichen. Die DMO kann hier unterstützen.
- Gastro-Ruhetage abstimmen: Absprachen über Schließzeiten und Ruhetage oder – wo es zu wenige Gastrobetriebe gibt – Foodmarkt mit regionalen Anbietern oder Picknick-Stationen mit Food-Automaten einrichten.
- Dorfgasthaus gemeinsam betreiben: „Auf dem Dorf“ gibt es inzwischen viele gelungene Beispiele, wo und wie das letzte Dorfgasthaus oder der letzte Dorfladen als Genossenschaft von Einheimischen weiterbetrieben wird. Hier können Tourismusverantwortliche sich in verschiedenen Formen einbringen.