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Session 02: Akzeptanz steigern, Konflikte steuern

Impulsgeber: Patrick Schreib

Die herkömmliche Sichtweise, die Reisende häufig primär als „zahlende Kunden“ und die „Gastgeber:innen“ auf das Angebot der Dienstleistungen reduziert, hat zu einer Entfremdung geführt und ist Ursache zahlreicher Konflikte. Wenn Interaktionen hauptsächlich transaktional sind, schwindet das gegenseitige Verständnis und der Respekt, was die Basis für Akzeptanz und Harmonie schwächt.  

Ein neues Verständnis von Gastfreundschaft, das auf gegenseitigem Respekt und authentischem Austausch basiert, kann helfen, Konflikte und Spannungen zu minimieren. Wenn Besucher:innen als temporäre Bewohner:innen der Destination und Gastgeber:innen als Gestaltende des Urlaubserlebnisses agieren, lassen sich soziale Spannungen vermeiden. 

Patrick Schreib stellte in seinem Impuls das Projekt „Schellsch halt mol“ vor. Gäste können dabei die Region, die Erlebnisse und Sehenswürdigkeiten aus der Perspektive der Einheimischen wahrnehmen, diese kommen in direkten Kontakt mit den Gästen. Das ist nach Einschätzung des Tourismuschefs bereits ein wichtiger Baustein für das „Wir-Gefühl“ und eine Konfliktebene weniger im Tourismus-Alltag. Weitere Konfliktebenen, die es zu minimieren gelte, sind „Wirtschaft“ (Unternehmen wollen Gewinne erzielen) und „Politik“ (deren Interessen oft von denen der Destination abweichen). Hier gelte es, die Schnittmengen zu nutzen, denn Politiker:innen und Unternehmer:innen seien in den meisten Fällen auch als Einheimische von den Folgen des Tourismus betroffen und darüber ansprechbar. 

Sanft, nachhaltig, regenerativ…

Das neue Tourismusverständnis erweitert drei seit Jahren reklamierte Prinzipien:

Sanfter Tourismus proklamierte in den 1970er Jahren als erste Reaktion auf den Massentourismus Umwelt- und sozialverträgliche Reisen und forderte die Beteiligung lokaler Akteure.

Nachhaltiger Tourismus pochte in 1990er Jahren auf ein Gleichgewicht von Ökologie, Ökonomie und Sozialem. Später wurde Nachhaltiger Tourismus als umfassenderes Konzept sogar von der UNWTO etabliert.

Regenerativer Tourismus geht seit etwa 2010 noch weiter. Im Fokus steht die aktive Wiederherstellung von Natur und Kultur durch den Tourismus. Es reicht nicht, nur keinen Schaden zu verursachen, man will aktiv Gutes tun – Tourismus als Heilungsprozess.

Gemeinschaftsbasierten Tourismus etablieren

In den Gruppenarbeiten und der anschließenden Diskussion wurde von den Teilnehmenden es als wichtigste Aufgabe angesehen, Netzwerke zu bilden, in denen Anbietende und Leistungserbringende, Politiker:innen und Touristiker:innen gemeinsam agieren. 

Es gelte einen Gemeinschaftsbasierten Tourismus (CBT – Community based tourism) zu etablieren. Bei dieser Tourismusform ist die lokale Bevölkerung aktiv in die Planung, die Durchführung und die Verwaltung der touristischen Angebote eingebunden.

Als Merkmale des Gemeinschaftsbasierten Tourismus erarbeiteten die Teilnehmer:innen der Session: 

Authentische Erlebnisse

Reisende tauchen tiefer in die lokale Kultur ein und erleben das Leben der Bevölkerung auf relativ unverfälschte Weise.

Soziale und ökologische Verantwortung

Touristen tragen aktiv dazu bei, die Kultur, Flora und Fauna zu bewahren und unterstützen lokale Projekte.

Direkte Beteiligung der Einheimischen

Die Bewohner zeigen ihr Land und ihr Leben, und der Preis für Aktivitäten wird oft vom lokalen Anbieter festgelegt, wodurch die Gemeinschaften mitentscheiden können, wie sich der Tourismus entwickelt.

Zusätzliche Einnahmequelle

Der Tourismus bietet den Einheimischen eine verlässliche Einkommensquelle, die direkt in die Gemeinschaft fließt.

Flucht vor dem Massentourismus

CBT ermöglicht es Reisenden, überfüllte Touristenziele zu meiden und eine persönlichere Reiseerfahrung zu machen.

Als Vorteile des Gemeinschaftsbasierten Tourismus definierten die Teilnehmenden folgende Aspekte:

Armutsreduzierung und Arbeitsplatzschaffung

CBT generiert direkt Einkommen und schafft vielfältige Arbeitsplätze (z.B. als Fremdenführer, in Unterkünften, im Handwerk) für die lokale Bevölkerung, insbesondere in Gebieten, wo traditionelle Jobs rar sind. Dies sorgt für eine stabile Einnahmequelle, reduziert die wirtschaftliche Anfälligkeit und fördert die Selbstversorgung.

Kultureller Austausch und lokale Eigenverantwortung

CBT fördert den gegenseitigen kulturellen Austausch und das Verständnis zwischen Reisenden und Einheimischen, was zu einer tieferen Wertschätzung des kulturellen Erbes führt. Die lokalen Gemeinschaften haben die Entscheidungsgewalt über Tourismusprojekte, und die generierten Einnahmen bleiben in der Gemeinschaft, oft zur Finanzierung von Gemeinschaftsprojekten wie Schulen oder Gesundheitsdiensten.

Umweltschutz

Durch die Einbindung der lokalen Bevölkerung in die Bewahrung ihrer natürlichen Ressourcen fördert CBT umweltfreundliche Praktiken und den Schutz natürlicher Ressourcen.

Bildung und Empowerment

Schulungsprogramme in Bereichen wie Gastfreundschaft, Fremdsprachen, Business Management und Umweltschutz befähigen Einheimische, professionell im Tourismus zu agieren und ihre nnatürlichen Ressourcen nachhaltig zu bewirtschaften. Der Aufbau von Bildungsinstitutionen innerhalb der Gemeinschaft ist hierbei ein entscheidender Schritt.

Als Umsetzungsmöglichkeiten für die DMO empfahlen die Teilnehmenden

  • „Runder Tisch“: Der Tourismus lädt regelmäßig alle politischen Fraktionen zu einem Austausch ein.
  • Schaffung eines „Bürger-Rates“ und Bildung von Arbeitsgruppen, die verschiedene thematische Inhalte bearbeiten. Strategie-Meetings mit der Destination, der Politik und den Stakeholdern sollen die Inhalte prüfen und Ableitungen bilden.
  • Zentrale Begegnungsorte schaffen: analoge Orte und eine digitale Plattform für Ehrenamt, Vereine, freiwillige Mitgestaltende der Destination schaffen, um Ideen zu bündeln und für neue Projekte aufzugreifen.
  • Schaffung eines Arbeitsplatzes „Kümmerer“: für die Destination, wobei diese Person als Schnittstelle zwischen den 3 Ebenen fungiert.

Gemeinschaftsbasierter Tourismus ist Teil eines neuen Tourismusverständnisses, das in Deutschland erst zaghaft Fuß fasst. CBT stellt die lokalen Gemeinschaften in den Mittelpunkt, sichert deren direkte Beteiligung, den Nutzen und die Entscheidungsgewalt. Der Tourismus wird dabei weniger als Wirtschaftsfaktor, denn als ein Instrument der Gemeindeentwicklung und des Kulturerhalts gesehen und schafft damit eine Win-Win-Situation.

Die Umstellung auf dieses neue Verständnis erfordert ein Umdenken in der Politik, im Tourismus und bei den Reisenden selbst. Die wachsende Sensibilität der Reisenden für nachhaltige Angebote und die zunehmende Bereitschaft von Destinationen, neue Wege zu gehen, bieten jedoch eine Chance. Zukünftig wird der Erfolg des Tourismus nicht mehr allein an der Anzahl der Besucher gemessen, sondern an seiner Fähigkeit, die Orte, die er berührt, zu bereichern, anstatt sie zu erschöpfen. 

CBT auch in Deutschland?

Obwohl CBT in Deutschland nicht so stark institutionalisiert ist wie in Ländern des Globalen Südens, gibt es durchaus vergleichbare Ansätze:

Dorf- und Landtourismus: In vielen Regionen Deutschlands – etwa DorfUrlaub im Schwarzwald, in der Eifel, oder in der Uckermark – gibt es Initiativen, bei denen Gäste in kleinen Gemeinden übernachten, regionale Produkte konsumieren und an lokalen Aktivitäten teilnehmen.

Soziale und ökologische Projekte: Einige Unterkünfte und Reiseanbieter arbeiten mit lokalen Initiativen zusammen, z. B. durch die Unterstützung von Umweltprojekten oder sozialen Einrichtungen. Gäste können sich aktiv beteiligen oder durch ihren Aufenthalt zur Finanzierung beitragen.

Genossenschaftlich organisierte Tourismusprojekte: In manchen Regionen gibt es gemeinschaftlich betriebene Gästehäuser, Biohöfe oder Kulturzentren, die Tourismus als Mittel zur regionalen Entwicklung nutzen.

Ökodörfer wie Sieben Linden in Sachsen-Anhalt oder Transition Towns wie Witzenhausen in Hessen bieten Workshops oder Besuchsprogramme, bei denen Gäste das gemeinschaftliche Leben kennenlernen können.

KLI – KulturlandschaftsInitiative in Bayern: Gäste helfen bei Landschaftspflege und erleben regionale Kultur.

Solidarische Landwirtschaften (SoLaWis) laden zu Mitmachurlauben ein – eine Form von CBT mit Fokus auf Ernährung und Umwelt.

Viele CBT-Initiativen in Deutschland sind eingebettet in breitere Konzepte wie sanfter Tourismus, ländliche Entwicklung, solidarische Ökonomie oder Bildungsangebote von Verbänden. (Red)