
Session 04: Nachhaltige Mobilität ist barrierefrei
Impulsgeber: Birgit Bosio
Bei der Planung eines Ausflugs, Urlaubs oder Kurztrips tauchen häufig Hindernisse auf, die für die meisten unsichtbar sind. Eine Stufe, ein fehlender Hinweis, eine überfüllte Haltestelle kann für viele Menschen schon eine entscheidende Barriere bedeuten.
In der 4. Session lenkte Moderatorin Birgit Bosio die Aufmerksamkeit auf die Barrierefreiheit einer Destination oder eines Ortes. Eine nachhaltige Mobilität ist grundsätzlich barrierefrei und eine barrierefreie Mobilität bringt mehr Convenience für alle. Um das zu erreichen, müsse die gesamte Customer Journey von der Inspirationsphase bis zur Abreise bedacht werden.
Barrierefreiheit schaffen
In vier Barriere-Clustern erarbeiteten die Teilnehmenden der Session konkrete Lösungsansätze für die Barrierefreiheit vor Ort.
- Barrierefreie Infrastruktur: Aufzüge, Niederflurbusse, Einstiegskanten, Rampen berücksichtigen – Klassiker, die aber oft fehlen.
- Sitzgelegenheiten schaffen: Möglichkeiten zum Ausruhen an Wegen.
- Barrierefreie Toiletten: Öffentlich zugänglich, zumindest mit Euro-Schlüssel.
- Breite Wege: Ausreichende Wege- und Durchgangsbreiten sicherstellen.
- Klare Informationen: Informationen/ Beschilderung für barrierefreie Wege.
- Optimierte Umsteigezeiten: Realistische und komfortable Umsteigezeiten im ÖPNV sicherstellen.
- Hilfsmittel-Verleih: Leihsysteme für Rollstühle, e-Scooter, Rollatoren etc.
Seh-Beeinträchtigungen haben nicht nur Blinde, sondern auch Diabetiker und andere Kranke. Grauer Star, Rot-Grün-Sehschwäche, visuelle Reizüberflutung, Stress beeinträchtigen das Sehen. Auch Brillenträger:innen können Probleme beim Lesen haben, ebenso die rund 6,2 Mio. Analphabeten in Deutschland und Migranten, die Infotexte nicht lesen können. Für diese Menschen hilfreich wären:
- Klare Sicht: Brillenputztücher an öffentlichen Plätzen sind eine einfache, aber wirkungsvolle Geste.
- Akustische Wegweiser: Hinweisschilder mit akustischen Signalen versehen, die bei Annäherung relevante Informationen abspielen. Audiodeskription für Hinweise.
- Feedback & Unterstützung: Ansprechpersonen („Buddies“) für direkte Unterstützung, z. B. im Umfeld der TI platzieren.
- Tech-Helfer: Voicebots oder digitale Assistenten stärker sichtbar machen.
- Braille-Angebote: Informationen und Angebote auch in Blindensprache bereithalten.
- Orientierungssysteme: Leitsysteme für Fußgänger oder Sehenswürdigkeiten, die taktil oder auditiv navigieren.
- Ruheoasen: Reizarme Räume/ Ruhezonen anbieten, um visuelle Überreizung zu vermeiden.
- Digitale Entschleunigung: Handyfreie Zonen fördern das bewusste Erleben und reduzieren die „Smombie“-Risiken.
- Visuelle Signale: Visuelle Alarme/ Signale anstelle oder zusätzlich zu akustischen Warnungen.
- Zwei-Sinne-Prinzip: Informationen immer über mindestens zwei Sinne vermitteln (z. B. Text und Bild, Ton und Lichtsignal).
- Info-Displays: Klare, große Info-Displays mit den wichtigsten Informationen bereitstellen.
- Gebärdensprache: Wichtige Informationen auch in Gebärdensprache übersetzen lassen.
- Mehrsprachigkeit: Mehrsprachige Ansagen (zielgruppenspezifisch) bereitstellen.
- Visuelle Wegweisung: Video- oder grafische Anzeigen für die Wegweisung.
- Standardisierte Symbole: standardisierte Piktogramme/ Symbole zur schnellen Erfassung verwenden.
Kognitive Einschränkungen haben nicht nur Menschen mit Autismus und kognitiven Erkrankungen. Sie betreffen auch alte Menschen, kleine Kinder, Menschen mit Gedächtnisproblemen, Stress oder Reizüberflutung oder mit mangelndem Sprachverständnis. Ihnen helfen:
- Universelle Symbole: Verwendung von allgemeinen Symbolen/ Piktogrammen zur einfachen Orientierung, die international verständlich sind.
- Leichte Sprache: Die wichtigsten Angebote und Informationen in einfacher oder leichter Sprache aufbereiten.
- Persönliche Unterstützung: Ansprechpersonen („Buddies“) für gezielte Unterstützung, z. B. im Umfeld der TI oder von POI.
- Echtzeit-Informationen: Digitale Echtzeit-Informationen (z. B. Fahrpläne) klar und übersichtlich aufbereiten.
- Rückzugsorte: Ruhezonen und reizarmen Räume für Pausen und Stressreduktion bereitstellen.
Das Bewusstsein für die große Bandbreite an „Einschränkungen“ ist der erste Schritt zu inklusiver Mobilität. Von Maßnahmen, die Barrierefreiheit schaffen, profitieren viel mehr Menschen, als es auf den ersten Blick scheint.
Erste Schritte, um ins Tun zu kommen
Bei allen Lösungen gilt: Co-kreatives Design ist unerlässlich. Lösungen müssen gemeinsam mit Betroffenen erarbeitet werden. Der Tourismus kann hier eine wichtige Lobbyarbeit übernehmen. Leuchtturmprojekte in der eigenen Destination sollten hervorgehoben und die Zusammenarbeit mit Einrichtungen, die bereits Verbesserungen umsetzen, gesucht werden. Es geht nicht darum, „Kämpfe“ auszutragen, sondern lösungsorientiert Schritt für Schritt besser zu werden.
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Überblick verschaffen & sich vernetzen:
Zuständigkeiten klären (Inklusionsbeauftragte der Länder/ Regionen/ Gemeinden, Behindertenverbände, lokale Austauschgruppen) und Netzwerke außerhalb der touristischen Bubble aufbauen – Sozialeinrichtungen haben oft schon viele Initiativen und wertvolle Kontakte. -
Betroffene befragen und einbeziehen:
Selbst gemeinsam mit Betroffenen durch die eigene Destination reisen, um barrierefreie Informationen auf der Website dem Praxistest zu unterziehen und Workshops zur Produktentwicklung mit den Betroffenen organisieren. -
Informieren & Kommunizieren (barrierefrei!):
Nicht nur wegen dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz möglichst alle wichtigen Informationen barrierefrei zur Verfügung stellen (leichte Sprache, Piktogramme, Audio, Gebärdensprache, Kontraste) – Tipp: Integration der Wheelmap in die eigene Website. -
Laut werden & Lobbyarbeit betreiben:
Austausch mit Mobilitätsbeauftragten zu den Planungsgrundlagen der öffentlichen Mobilität (muss budgetär hinterlegt werden). -
Eigene Angebote schaffen & koordinieren:
Entwicklung eigener innovativer Angebote (z. B. barrierefreie Tuk Tuks – siehe tuk-rum.de) und Gestaltung von On-Demand-Angeboten von Grund auf barrierefrei.
Nachhaltige Mobilität ist untrennbar mit Barrierefreiheit verbunden. Es ist eine Medaille mit zwei Seiten, um das touristisches Angebot zukunftsfähig zu machen. Barrierefreie Mobilität ist eine Win-Win-Situation, die nicht nur die Lebensqualität und Reiseerfahrung für alle verbessert, sondern auch neue Marktpotenziale erschließt.